Haar: Lindholm Kunstharmonium
Und ein weiteres Projekt kündigte sich an, die Restaurierung dieses großen Saugwind-Kunstharmoniums.
Was sich wohl alles hinter dieser Klappe verbirgt? Bei diesem Instrument ist sogar die Rückwand imposant.
Noch imposanter ist natürlich der Innhalt! 5 1/2 Oktaven Klaviatur, Forte expressiv, Expression, Prolongemnt, Dämpfung (Metaphone) und und und ...
Das gab auch mir anfänglich Rätsel auf. Mit "Skala" kann der Teilungspunkt zwischen h°/c' und e'/f' gewechselt werden.
Nach dem Abnehmen der ganzen Resonanz- und Fortekästen, lagen die ersten 5 Spiele (die hineren) vor mir.
Da 5 1/2 Oktaven ja eher mager sind ;-), wurde zumindest die Oktavkoppel noch um eine halbe Oktave ausgebaut (das stellte sich später als Irrtum heraus).
Die Schwergängigkeit der Mechanik führte dazu, dass die Ventile nicht richtig schlossen, daher hatte man nie "gescheite" Druckverhältnisse.
Vermutlich bei der letzten Restaurierung 1982, wurde weniger geeignetes Material (elastisch) für den Neubezug der Schöpfer verwendet.
Der Magazinbalg sah so aus, als wäre er vor nicht allzu langer Zeit neu bezogen worden. Leider wurde der Bezug auf das alte Material genagelt.
Das gewaltige Teil wurde schon mehrfach geflickt, überzogen und sogar schon mit Dichtfarbe gestrichen.
Hier sieht man gut die beiden Kammern für den Einsatz der Expression. Vorne (zur Kreissäge) - Wind über Schöpfer, hinten - Wind über Magazin.
Durch die vielen Nägel, glich der Balg eher einer Ritterrüstung. Zudem wurde das neue Tuch auf das alte geleimt :-(.
Die Einbauten (GJ incl. Dämpferbalg, Ausl. Prolongement, Gurtrollen, Tritte) wurden entfernt und alles gründlich sauber gemacht.
Hier sieht man gut den massiven Eingriff, welchen das Gehäuse über sich ergehen lassen musste. Ob das so bleibt? - wir werden sehen.
In enger Absprache mit dem Besitzer, wurden die "neuen" Frontteile entfernt, die originale Konstruktion sollte wieder hergestellt werden.
Nach dem Zuschnitt konnte man schon erahnen, wie der neue Sockel künftig wieder bis zur Trittöffnung reicht.
Doch die provisorisch eingesteckten Sperrholzfüllungen wollten nicht so recht passen und standen unter Spannung.
Der Test mit einem Richtholz zeigte, dass die Flucht des Rahmens deutlich hinter der Nut der Füllung liegt, also ca. 10mm zu weit innen.
Nach langer Ursachenforschung stellte sich heraus, dass der komplette Frontahmen mit seinen Zapfen falsch herum im Gehäuse saß.
Dies war vermutlich schon seit 1925 so. Wieviel Spannung auf dem Rahmen war, sieht man gut an diesem Bild, welches nach dem Durchtrennen entstand.
Nachdem die beiden Teile umgedreht und der Trittrahmen wieder eingelegt war, verlief alles in perfekter Flucht.
Nun wurden die neuen Füllungen angefertigt. Hier sieht man gut den Verlauf der Maserung, wie er ursprünglich war (anhand Vergleichsinstrument - Grüße nach Klingenthal).
Beim Einsetzen der Füllungen kamen mir erste Zweifel, das Foto (mit Blitz) bestätigte diese dann - die Fläche war zu gelb.
Also noch mehr Beizmuster angefertigt. Da diese gebeizt, geölt und dreimal lackiert werden müssen, bevor man den Farbton abgleichen kann, ist das sehr langwierig.
Doch irgendwann war der richtige Farbton für den zweiten Beizdurchgang gefunden und konnte aufgetragen werden.
Auch hier natürlich immer mit Trocknungspausen zwischen Beize (1 Tag), Öl (3 Tage) und Schellack (1 Tag).
Beim Zusammenstecken der Neuteile war ich dann echt erleichtert, denn die neue Farbe passte PERFEKT!
Zur Verstärkung des Scharniers, erhielt die große Magazinbalgplatte (140 cm breit) zusätzliche Leinenstreifen.
Auch die Balgfalten und die Ventile wurden schon vorbereitet. Allein für die Balgventile sind über 0,4m² Leder notwendig.
Es folgte der Balgbezug. Da der Stoff schon auslag, wurde der Balg des Sterling (anderes Projekt) gleich mitgemacht.
Hier sieht man die fertig vorbereiteten Bespannungen der Schöpfer. Der Größenunterschied (Lindholm vorn - Sterling hinten) ist ebenfalls gut zu erkennen.
Damit die Balgfedern nicht ständig am Balgtuch zerren, ist beim Neubezug des Magazins der Einbau von Gurten ratsam.
Nun waren die Lederarbeiten dran. Es wurden Eckenschoner, Schöpfventile und die Fundamentdichtung angebracht.
Damit die neue Bespannung der Schöpfer ihren Faltenwurf "lernt", blieben sie noch eine Weile mit Zwingen gespannt.
Darunter liegt die Ebene der Expressionsventile, welche auch gleich eine lose Verleimung zu beheben hatte.
Diese Ebene wurde mit dem Balg verschraubt und sauber im Gehäuse ausgerichtet. Die Leisten dienen zur Kontrolle der Parallelität.
Weiter ging es mit den Expressionsventilen. Das Leder sah noch prima aus, aber der Filz darunter war von Motten zerfressen.
Die Magazin-Ventile sind über einen Draht mit den hinteren Ventilen gekoppelt. Sind sie geschlossen, ist der Magazinbalg vom Windsystem getrennt. Die vorderen Ventile stellen dafür eine direkte Verbindung zu den Schöpfern her = Expression an.
Ist die Expression aus, schließen die vorderen Ventile, die hinteren incl. der Magazin-Ventile öffnen sich. Durch die wieder hergestellte Verbindung zu den Schöpfern, wird der Wind über das Magazin abgewogen. Eigentlich ginge das auch einfacher ...
Hier ist es sehr ratsam, alles gründlich durchzusehen. Wer meint "das braucht es alles nicht" dem seien die nächsten Bilder ans Herz gelegt.
Der Dämpferbalg war dagegen einwandfrei, allerdings hatte er ein Dichtungsproblem (siehe Dichtung oben mittig).
Bei einer Restaurierung müssen diese "Kleinigkeiten" entdeckt und gerichtet werden, sonst gibt es immer Probleme.
Nun ging es an das Zerlegen des Werkes. Hier galt es ein großes "Mysterium" zu lüften - wie funktioniert der Registerzug "Scala", mit welchem die Teilung von h°-c' auf e'-f' verändert werden kann.
Gelöst wurde die Schaltung mit Hilfe zusätzlicher Zungen c' bis e' (blau = Bass, rot = Diskant) und einer zum Teil schaltbaren "Quart"-Koppel.
In der Normalstellung (Teilung e'-f') drücken die Tasten c' bis e' über die Wippen direkt auf die Stecher darunter (= Bass), ab f' drücken die Tasten immer auf die Quartkoppel (= Diskant).
Hier ein Blick auf die Unterseite der Tasten. Bei Teilung h°-c' werden die Wippen zurück geschoben (Bild 4) und die Tasten drücken über die Wippen auf die Quartkoppel (c'-e' = Diskant).
Ein vermeitlicher Wasserschaden entpuppte sich bei der Reinigung als letzte Ruhestätte einer Maus (lecker!).
Das Instrument wurde in den 80ern schon einmal überarbeitet, teils mit "kreativen" Lösungen, wie man hier am ausgebrochenen Kanzellenschied erkennen kann.
Normalerweise sind die Trennschiede zwischen Bass und Diskant etwas stärker, was hier aufgrund der verschiebbaren Teilung nicht möglich war.
Beim Ausbau musste ich aber feststellen, dass einige Ventile nur ganz wenig Gang machten (im Bild ca. 2,5mm).
Die Mäusereste hatten sich durch die Ventildecke gegammelt (Loch für Expression-Schaltung), zum Glück ist den Ventilen nichts passiert.
Hier sieht man die Windkastenventile der "Forte expressiv"-Bälge. Zumindest das linke Ventil (D) war wohl nie richtig dicht.