Orgel- und
Harmoniumwerkstatt
Thomas Reilich
Furth:
Orgue de Voyage, Achille Müller, Paris, Bj. 1867

Dies war mal ein wirklich außergewöhnliches Instrument, eine sechs Oktaven umfassende Reise-Physharmonika bzw. "Orgue de Voyage" von Achille Müller, Paris, aus dem Jahre 1867. Das Gehäuse besteht zum Großteil aus massivem Vogelaugenahorn, verziert mit Ebenholz-Leisten.

Den Zustand konnte man fast als unspielbar bezeichnen, wie der Wellengang der Tasten verrät.

li: Unter mehreren Deckeln verborgen, sitzen die außen aufgesetzten Einzelzungen. Jede Zunge hat einen eigenen Resonator.

In der Vergangenheit wurden schon einmal ein paar Stecher ausgetauscht bzw. nachgefertigt, aller-dings nicht besonders sorgsam.

Die einschiebbare Klaviatur, kann ohne Werkzeug als Einheit entnommen werden.

re: Auch das Werk mit dem darunter hängenden Balg, kann leicht entnommen werden.

Die Windlade samt Zungen, mit darunter hängenden Schöpfern. Einen Magazinbalg gibt es hier nicht.

Das tiefe C erklingt im 16' und hat eine wirklich außergewöhnliche Mensur (Maßverhältnisse).

Jede Zunge verfügt über einen eigenen Resonator, welcher direkt auf dem Zungerahmen befestigt ist.

li: Da in geschlossen-em Zustand ständig das ganze Gewicht des Werkes auf dem Balg liegt, sieht dieser dement-sprechend verknittert aus.

Nach dem Abschrauben des Balges, lagen die Ventile frei.

Nachdem auch die Ventile entnommen waren, offenbarte sich eine von mehreren Schwachstellen dieses Instrumentes.

Die sog. Pulpeten, dichten die mechanische Verbindung von Taste und Ventil im Windkasten ab. Diese sind hier als Lederstreifen ausgeführt, welcher beim Einleimen in die jeweilige Versenkung gedrückt wird (sog. Lederpulpeten). Das ermöglicht dem von außen wirkenden Stecher, seine Bewegung auf das Ventil zu übertragen. Allerdings ist dieser Lederstreifen einer hohen Belastung ausgesetzt, da er immer in Bewegung ist und die mechanische Kraft durch die ungünstige Hebellänge durchaus enorm ist.

Viele der Lederpulpeten waren verhärtet (was die unausgeglichene Klaviatur erklärte), im Diskant sogar einige defekt. Die meisten Pulpeten konnten in einer längeren Prozedur mit Öl und Fett wieder geschmeidig gemacht werden. Bei den letzten vier, half nur der Austausch.

Ein weiterer Schwachpunkt, ist der Windkastenboden = Trägerplatte der Schöpfer.

Vermutlich um Gewicht zu sparen, hat man hier die Materialstärke auf ein Minimum reduziert. Die Folge: die Verschraubungen reißen aus und eine Kraftübertragung (=Dichtung) zwischen den Schrauben, findet nicht statt. So führt das Eine zum Anderen - die Dichtung ist mangelhaft, man versucht die Schrauben mehr anzuziehen, dies führt zu weiteren Beschädigungen.

li: Da das Balgleder ansich aber noch in Ordnung war, konnten wir uns nun dem Gehäuse widmen. Der Kasten war etwas instabil und musste teilweise neu verleimt werden.

re: Den Boden durzog ein kapitaler Riss, worurch die Fußstützen keinen ordentlichen Halt mehr fanden. Im Bild ist der Riss bereits verschlossen und farblich angepasst, die Aufnahme der Fußstütze wieder fest verschraubt.

Nun steht das Gehäuse wieder stabil. Zum Transport können die beiden Füße einge-klappt und die Lyra mit den Tritten komplett entfernt werden.

Nun ging es aber mit dem Werk weiter. Die noch gut erhaltenen Ventilbeläge wurden gereinigt und talkumiert.

Anschließend kamen sie wieder an ihren alten Platz.

Natürlich wurde auch die Lade selbst gereinigt. Hier sieht man die Oberseite, auf welche die Zungen gesetzt werden.

Dieses Foto entstand, nachdem der Balg wieder (vorsichtig) mit der Lade verschraubt wurde. Die jeweils 4 Bleigewichte, unterstützen den Schöpfer beim Öffnen.

Hier sind Balg und Werk zurück im Gehäuse.

Die Zungen haben beiseitig Schlitze und werden einerseits durch eine Schraube, andererseits durch einen Haken gehalten.

Hier wurden gerade die "unpassenden" Stecher ermittlet.

Um eine Regulierung der Klaviatur zu ermöglich, ist im Stecher ein Gewindestift verbaut. Der massive Holzring schützt den Stecher vor dem Ausbrechen.

Hier sind Zungen und Stecher wieder komplett.

Man kann sich gut vorstellen, dass die Klangabstrahlung der Zungen SEHR direkt ist. Die erste Abdeckung dämpft den Bass und fördert die Abstahlung im Diskant.

Die zweite Abdeckung dient aus meiner Sicht eher als Resonanzkasten und rundet den Klang wortwörtlich ab.

Nun konnte die frisch geputzte Klaviatur wieder eingesetzt werden. Im Bild li ist sie eingeschoben. So kann das ganze Werk bis zur schwarzen Leiste im Gehäuse versenkt werden. Zum Spiel, hebt man des Werk an und zieht die Klaviatur nach vorne heraus (Bild re).

Hier sieht man nocheinmal die "ausgezogene" Klaviatur.

re: Als "Nicht-Metaller" war ich auf das Ergebis wirklich stolz.

Nachdem technisch alles lief, ging es nun an ein paar Nachfertigungen. Hier an die der abhanden gekommenen Deckelstütze.

Form und Stärke, waren anhand des Ausschittes im Deckel eindeutig.

Der Deckel hielt wieder, nun fehlte noch das Notenpult.

Anhand von alten Abbildungen und Vergleichsinstrumenten, konnten die originalen Maße ermittelt werden. Der Eigentümer kümmerte sich dann um die Beschaffung des massiven Vogelaugenahorn. Mit blondem Schellack behandelt, lies sich das neue Notenpult vom "Altteil" nicht unterscheiden.

Nach diesen Reparatur- und Rekonstruktionsmaßnahmen, ist das Instrument nun wieder komplett und gut spielbar. Leider habe ich es versäumt, ein Foto vom Instrument in zusammengeklapptem Zustand zu machen. Dann sieht es nämlich aus wie eine hübsche "Holzschachtel" und kann problemlos transportiert werden.

Mittels zweier Messingfüße, wird das Notenpult in dafür vorgesehenen Öffnungen in der Klaviaturabdeckung arretiert.

Erbauer: Achille Müller, Paris, Bj. 1867,"Orgue de Voyage"

System: Druckwind

Klaviatur: C0 - c''''